Der Fall by Gert Heidenreich

Der Fall by Gert Heidenreich

Autor:Gert Heidenreich [Heidenreich, Gert]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-10-21T16:00:00+00:00


DAS

NETZ

Wenn Verstellung eine Leistung des Verstandes ist und kein natürliches Talent, müssen wir anerkennen, dass Hans Rakowski auf diesem Gebiet über außergewöhnliche Intelligenz verfügt. Zwar mag er in Übung sein, denn jede Steuererklärung besteht mehr oder minder aus der Vortäuschung falscher Tatsachen; aber sich selbst zu fälschen, ist eine viel höhere Kunst, und die Lage, in die er beim erneuten Betreten der Kanzlei gerät, ist keine, die er zuvor hätte trainieren können.

Er tritt, den Schlüssel in der Hand, ein, die Tür steht wie erwartet offen, fremde Männer, eine fremde Frau empfangen ihn in der Lobby. Als erste Prüfung gilt es, irritiert zu sein. Nicht verwirrt, das wäre zu viel. Glaubwürdigkeit ist eine Frage der Dosis. Das hat sie mit der Heilkunst gemein. Jede Übertreibung, zum Beispiel aus der Tür zurückzutreten, vor der Villa umherzuschauen, als ob er sich versichern müsste, das richtige Haus aufgesucht zu haben, würde Rakowski als Heuchler entlarven.

Wichtig ist, das gespielte Überraschtsein dessen, der angeblich noch nicht weiß, was hier vorgefallen ist, nicht in Ängstlichkeit ausarten zu lassen, sondern nach einem Moment verblüfften Zögerns als Herausforderer aufzutreten.

Schließlich ist man hier zuhause.

»Wer sind Sie, was tun Sie hier?«

Sein Ton ist so aggressiv, wie ihn sich nur ein Unschuldiger leisten kann.

»Und Sie?«

Der Mann, der am nächsten steht und schroff zurückfragt, trägt einen mittelgrauen Anzug und ein offenes weißes, nicht ganz frisches Hemd. Seine Gereiztheit ist unüberhörbar.

Emil Meidenhauer vom Morddezernat München hätte mehrere Gründe, schlecht gelaunt zu sein, braucht für seinen missmutigen Gesichtsausdruck aber keinen einzigen. Er ist, wie man in seiner Behörde weiß, ein unverbesserlicher Misanthrop, der Pflanzen liebt, und nichts außer ihnen. Seine sechsundvierzig Lebensjahre, von denen er rund dreißig als Menschenverächter verbracht hat, haben tiefe Spuren um seinen Mund und seine Augen hinterlassen. Dunkle Faltensäcke lassen auf Schlaflosigkeit schließen, doch er schläft gut und tief und erinnert sich nie an Träume. Die aschblonden Löckchen, die seinen runden Kopf bedecken, täuschen im Verein mit den hellblauen Augen einen engelhaften Charakter vor. Meidenhauer ist das Gegenteil, für seine Kollegen ein Scheusal in Putto-Maske, boshaft, schwer erträglich und in seinem Beruf auffallend erfolgreich. Weiter als bis zum Ersten Kriminalhauptkommissar hat er es dennoch nicht geschafft. Ein Jüngerer wurde an ihm vorbei zum Kriminalrat und Leiter K-11 befördert. Es hat ihn verletzt, aber in seinem Weltbild bestätigt. Von einem Rakowski lässt er sich nicht einschüchtern.

»Was haben Sie hier zu suchen?«

»Ich arbeite hier, und ich werde jetzt die Polizei rufen.« Der Griff nach dem Mobiltelefon ist von großartiger Routine, so viel Selbstverständlichkeit muss auch einen gedienten Hauptkommissar überzeugen.

»Ich bin Kriminalhauptkommissar Meidenhauer, das ist mein Kollege, Oberkommissar Flade.« Der Vorgestellte deutet eine Verneigung an. Sein Chef dreht sich zu der Dame im Hintergrund um, doch die winkt ab.

Langsam lässt Rakowski das Telefon sinken. Er besinnt sich auf die Frage, die er ungezählte Male im Fernsehen gehört hat: die nach dem Ausweis.

Sein Gegenüber kommt ihm zuvor und zeigt die grüne Karte, reflexartig zückt der Kollege die seine. Horst Flade, ebenso schlank wie sein Chef, etwas kleiner, hat eine rosige Gesichtshaut mit Sommersprossen und grüne,



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